Die letzte Fähre nach Finkenwerder

Die letzte Fähre nach Finkenwerder

Finkenwerder ist ein recht kleiner Stadtteil von Hamburg, auf der falschen Seite der Elbe. Deshalb erreicht man ihn am schnellsten und einfachsten mit der Fähre. Eine halbe Stunde braucht man für die Überfahrt, bis man das verschlafene Finkenwerder erreicht, wo das größte Vergnügen ist sich in der Kneipe am Fähranleger Geschichten aus dem Leben der örtlichen Berufstrinker anzuhören. In Finkenwerder gibt es nicht viel zu erleben und doch liegt ein Gefühl von Möglichkeiten in der Luft. An diesem Mittwochabend muss ich mich sehr beeilen, denn wenn ich die Fähre verpasse, muss ich entweder den Nachtbus suchen oder sogar laufen. Deshalb renne ich um 23:42 gestresst die Brücke 3 an den Landungsbrücken hinunter und stelle schwer atmend fest, dass die Fähre verspätet ist. Ein paar Minuten muss ich also doch warten, aber dann erscheint sie schon vor der hell leuchtenden Kulisse des Hamburger Hafens. Mit einem lauten, fast schon schrillen Pfeifton legt sie an, der ausklappbare Metallsteg wird langsam heruntergelassen, sie erzeugt einen heftigen Wellengang, so dass man immer einen Meter zurücktreten muss, um nicht nass zu werden, die letzte Fähre nach Finkenwerder. Es ist immer latent aufregend für mich auf Schiffen zu sein. Ein Gefühl, das mir aus Kindertagen erhalten blieb, als es noch das Beste auf der Welt war in einem kleinen Ruderboot auf einem Weiher mitten in der Pampa zu sitzen und die Beine im Wasser baumeln zu lassen. Die Fahrt mit der Fähre ist jedoch mittlerweile ein alltägliches Erlebnis geworden. Ich wohne für vier Wochen in Finkenwerder und muss täglich die Elbe auf dem Weg zu meinem Praktikumsplatz überqueren und generell immer, wenn ich etwas erleben will. Ich betrete diese Fähre also zwar mit einem warmen Gefühl, jedoch recht unbedarft. Kaum jemand wartet mit mir darauf das Schiff endlich betreten zu können. Nicht ungewöhnlich um diese Uhrzeit an einem Mittwoch. Ein alter Mann, der Flaschen in Plastiktüten gesammelt hatte und eine recht große Frau im Wollmantel sind meine Mitpassagiere für diese Fahrt. Wir betreten den Passagierraum und suchen uns in schweigendem Einvernehmen unsere Plätze. Ich suche mir einen Platz am Fenster, so dass ich die Welle beobachten kann, in denen sich die Lichter des Hafens brechen. Plötzlich höre ich eine vertraute Stimme, die meinen Namen sagt. Vor Schreck bleibt mir einen kurzen Moment das Herz stehen und fängt im gleichen Moment an das Blut im dreifachen Tempo durch meinen Körper zu pumpen. Es ist die Stimme, die ich in den letzten drei Jahren jeden Morgen als erstes gehört habe. Philipp.

Er hatte sich vier Wochen zuvor von mir getrennt. Es war eine dieser Trennungen, die sich wie Streben anfühlen – wie Organversagen. Er steht vor mir auf dieser Fähre, völlig unerwartet, ohne Vorwarnung, die mich auf diesen Magenkrampf vorbereiten könnte.